15 Gerebernuskapelle

Gerebernuskapelle

Die Geschichte der St. Gerebernuskapelle ist eng verbunden mit der Geschichte der Römer und der nachrömischen Zeit in Xanten. Die St. Gerebernus Kapelle war ursprünglich eine Hofkapelle des Hofes vom Erzbischof von Köln und Mittelpunkt des alten Sonsbeck und erste Pfarrkirche. Die Bürger von Sonsbeck waren zur Pfarrei Xanten orientiert und stellten den Westrand der dortigen Pfarrei dar. 1203 wurde sie von der Mutterkirche Xanten abgetrennt und damit erste Pfarrkirche von Sonsbeck. Gründe dafür waren die weite Entfernung, alte Leute und Kinder hatten es besonders schwer, ihre religiösen Pflichten dort zu erfüllen, von Kranken ganz zu schweigen. Auch das Begräbnis der Toten verursachte Probleme. Aber einmal war damals die Bevölkerungszahl im Sonsbecker Gebiet viel kleiner, und sodann nahm mit der wachsenden Zahl der Christen die Leistungs-, die Opferkraft nicht zu, vielmehr eher ab. Man wollte es bequemer haben. Deshalb verlangte man nach zwei Dingen: ein neues, größeres Gotteshaus und einen ständigen Priester am Ort. Zum ersten Punkt lieh der Klever Graf offenbar seine besondere Hilfe.

Das Kapellchen, das die entführten Gebeine des hl. Gerebernus aufnahm und hütete, wurde vom Grafen zur Verfügung gestellt. Dieser erste Bau war inzwischen zu klein und ein Neubau nötig geworden. Sicher wenn der größere Wunsch in Erfüllung gehen sollte: Sonsbeck als eine eigene Pfarre! Graf Dietrich unterstützte den Plan, indem er den Neubau auf seinem Gute erlaubte. Die Kirche blieb an der alten Stelle. Als die erste Kapelle errichtet wurde — etwa nach 900 — war das uralte Hofgut noch nicht in den Händen der Klever Herren, nein, es unterstand noch dem Kölner Erzbischof. Die Klever waren von ihm als Vögte für all die Bischofsgüter am unteren Niederrhein gewählt worden. Erst versahen diese auch treu ihre Schützerpflichten für den Eigentümer wie für dessen Untergebene. Auf Dauer aber ersuchten die Vögte allgemein von Beauftragten zu Besitzern zu werden. Es gelang den Klevern in Sonsbeck „Herr am Orte“ zu sein. Noch 1311 legte Erzbischof Heinrich v. C. Wert auf die Feststellung, wie es früher war, dass Burg und Siedlung Sonsbeck ursprünglich im Besitz der Kölner Bischöfe gewesen seien, sie ihnen aber von den Klever Grafen entrissen wurden. Und Anno 1347 erkannte noch oder wieder mal Johann von Kleve an, dass es ein Lehen von Köln war.

Außer dieser Gründungsurkunde erinnert die erste Sonsbecker Pfarrkirche in ihren ältesten Teilen noch an diese Tage. Sicher erhalten ist die Turmanlage ohne die spätere Ummantelung und ohne die Spitze, die erst bei der Vergrößerung von 1478 hinzukamen. Ursprünglich wirkte der Turm also schlanker und schöner in seinen drei Stockwerken, wovon die beiden untersten fensterlos waren. Die Bedachung wird eine niedrige Haube im romanischen Stil gewesen sein. Dieser Turmeingangsraum führte in die schiffige Kirche, deren Flächenraum das heutige Mittelschiff umspannt, ohne das spätere Hochchor. An der Ostwand war eine Chorrundung für den Hauptaltar. Bei der Betrachtung des Turmes und seiner Grundrissmaße kann die erste Kirche nur einschiffig gewesen sein. Den Abschluss nach oben bildete wohl eine Balkendecke und ein niedriges Dach. Wenn man die Gründungsurkunde wörtlich nimmt, dann stammt die Kirche (dort Kapelle genannt) von etwas vor oder um 1193. In dem Jahr starb der dort als ihr Förderer genannte Graf Dietrich IV. von Kleve. Wenn sie bis zu seinem Tode noch nicht ganz fertig war, dann evtl. bis kurz danach. Sie war der hl. Katharina geweiht, wie wir erstmals in einer päpstlichen Urkunde vom Jahre 1431 vernehmen! Das wundert, da wir doch St. Gerebernus erwartet hätten. Erklären kann man das nur aus der Tatsache, dass jener Graf Dietrich IV. wie ein „weltlicher Schutzengel“ hinter dem ganzen Werk stand und dass eben er die Patronin St. Katharina wünschte – teils etwa aus familiären Gründen, teils weil im Christenvolk, beim Adel zumal, die Verehrung der hl. Katharina seit den Kreuzzügen sehr gepflegt wurde. Patronin war Katharina (1431 so erwähnt), beim Volk blieb es St. Gerebernus.

In den belgischen Jahrbüchern steht, dass der Leichnam des Beichtvaters der hl. Dymphna nach Sonsbeck gebracht wurde. Das wird auch durch die ununterbrochenen Wallfahrten bezeugt. Das Volksbewusstsein hatte an Ka­tharina keine oder kaum eine Erinnerung. Interessant ist auch, wie selbst in päpstlichen Urkunden der Name St. Gerebernus sich wandelte. In Sonsbeck wurde der Name St. Gerebernus verändert zu St. Bernardre, St. Bernadus. Das sei dahergekommen, dass man den Namen im Volksmund „verkürzt“ habe, also St. Gebern und noch kürzer St. Berem – woraus dann wieder im Laufe der Zeit St. Bernadus gemacht wurde. Papst Julius II. habe 1512 so geschrieben, aber Leo X. wieder richtig St. Gerebernus.

Seit wann und bis wann sich Einsiedler hier folgten und ablösten, steht leider nicht fest. Aber in den frühen Jahrhunderten, sicher bis 1545, kamen zahlreiche Pilger nach Sonsbeck, um St. Gerebernus gegen Gicht und Lähmung der Glieder anzurufen. Ja, man brachte sogar Geisteskranke zeitweilig hier hin, damit er sie heile, obschon St. Dymphna hauptsächlich deren Patronin ist. Sie wurde also mit verehrt, gerade von den Letztgenannten. – Die Reliquien des hl. Gerebernus kamen höchstwahrscheinlich schon 1203 als Geschenk der Sonsbecker in den Kölner Dom, um damit dem Erzbischof Adolph I. Dank zu sagen, weil er Sonsbeck zur Pfarre erhob und ihr einen Hirten zusprach.

Sonsbeck ist 1320 Stadt geworden. Neu-Sonsbeck, im südlichen Bereich gelegen, wuchs, und umgab sich schließlich mit Mauern. Dies war wohl ein erster Anlass nur Neu-Sonsbeck als Stadt zu betrachten. Allerdings legte der Klever Herr noch höchsten Wert auf Alt-Sonsbeck um St. Gerebernus. Sonst hätte er nicht 1417 die dortige Burganlage – die uralte weltliche Kernzelle Sonsbecks – großmächtig erneuert! Als dann 1609 der Klever Fürstenstamm erlosch, zerstörten 1642 die Franzosen die alte Burg. Hinzu kommt, dass der Bildersturm von 1564 hauptsächlich die alte Pfarrkirche in Mitleidenschaft zog. Die Glaubensspaltung und die Brandenburger Fürsten ließen, vor allem nach 1642, das „alte Sonsbeck“ noch mehr in Vergessenheit geraten.

Die befestigte alte Hofanlage bei St. Gerebernus war 1400 wegen Alters nicht mehr sicher. Um 1417 half jedoch Herzog Adolph II. diesem Zustand gründlich ab durch den letzten Neubau einer großen Burganlage (Rest heute = Römerturm), die oftmals bis 1609 den Landherrn in ihren Mauern aufgenommen hat. In diesem Jahr starb das Klever Fürstenhaus aus.

Am 14.1.1431 beauftragte Papst Eugen IV. den Dechanten in Xanten, auf Veranlassung der Bürger der Stadt Sonsbeck, das Taufrecht und den Taufstein, welche bisher die vor der Stadt liegende alte Pfarrkirche St. Katharina besaß, in die Kirche St. Maria Magdalena zu verlegen, die durch den Rektor (Pastor) verwaltet wurde. Zugleich soll dafür gesorgt werden, dass der Katharinenkirche nichts an Opfern abgehe und dass der Kirchhof nicht etwa zu profanen Zwecken verwendet würde. Der Xantener Stiftsdechant und frühere Pastor von Sonsbeck, Petrus Scalipe, verlegte am 15.4.1431 den Taufbrunnen von der Katharinen- zur Magdalenenkirche.

Die Pfarrer ließen St. Gerebernus nicht verfallen und in Vergessenheit geraten. Die Klever Burg nebenan war 1417 noch schöner erneuert worden und die Wallfahrt nahm zu. Bestimmt freuten sich die Labbecker und halfen entsprechend mit. Nun wollte man die Kirche erneuern und vergrößern. Die bisherige wurde – sogar mit dem Unterteil des Turmes – in die neue übernommen, d.h. man ummantelte das hohe Untergeschoss des Turmes von drei Seiten. Das ergab eine breite Front zum Westen hin. Der Turm erhielt zu einem 20 m hohen Mauerwerk statt der früheren romanischen Haube nun eine gotische Spitze (etwa 8 m hoch). Die Schalllöcher (Fensterbögen) sind wohl auch neu, darüber die romanischen Bögen aber alt. Der glatte Verputz ist eine Zutat von später. Links sind 3 kleinere Fenster, die wohl zu der bereits besprochenen Klausnerwohnung in der Nordwestecke der Kirche (zuerst neben dem Turm) gehörten. Neu hinzu baute man das Gotische Chor.

Wie bei den Gewölben ist das Maßwerk der Fenster reich und schön. So baute ein unbekannter Meister eine Stätte, die innen wie außen eine kleine Perle war, jedenfalls die gefälligste Kirche ringsum. Das Material, Tuffstein aus dem Raume Andernach, kam auf dem Rhein über Xanten hier hin. Bischof Dr. Müller aus Münster, der sich 1860 in Sonsbeck aufhielt, äußerte, das Türmchen von St. Gerebernus sei das schönste seines Bistums. Da die Gaben der Pilger wohl dauernd flossen, konnte man auch für die Innenausstattung sorgen. So wissen wir nicht, wie der Hoch- und der Marienaltar aussahen, da früher zahlreiche Ausstellungsstücke verschwunden sind. Vom alten St. Gerebernusaltar blieb nur der Unterbau erhalten. Und gleichzeitig noch der Boden des dreischiffigen Laienraumes, der aus Namurer Blaustein gelegt ist. Diese beiden letztgenannten Teile von etwa 1480 sind wichtig. Sie erzählen uns nämlich von den stetigen Pilgerfahrten der Notleidenden und Kranken zum hl. Gerebernus.

Unter dem Altar finden sich noch zwei Grabplatten. Die eine ist zum Teil noch leserlich, das Wappen nicht mehr zu erkennen. Die Platten messen meist 29 x 29 cm, teilweise 34 x 34 cm.

Die Kirche des hl. Gerebernus war vollendet und ein Schmuckkästchen geworden, die Wallfahrt und das Geschäft mit dem Ablass (Papst-Bulle des Innozenz VIII. am 20.4.1487) für Hilfe in Geld oder Werten für die Kirche blühten. Marcellus Vlynt (Pastor), anno 1493, kam dem Volkswillen entgegen und erklärte sich mit 1/6 der Opfer in St. Gerebernus zufrieden, aber 1512 billigte Papst Julius II. selbst ihm 1/5 derselben zu. In dieser Papsturkunde steht, dass sich die Opfer der Pilger zum hl. Gerebernus durch allerhand Wunder stark vermehrt habe. Das heißt doch, die Wallfahrt hier in der alten Pfarrkirche blüht.

Bauliche Veränderungen

Das Schöne an der St. Gerebernus Kapelle ist, dass sie so wenig verändert wurde in den Jahrhunderten. Zeitlich nicht nachvollziehbar sind der Übergang Klausnerkammer/Leichenkammer.

Veränderungen sind erkennbar aus der „Schlechtsanierung“ im Mittelaltertum. Im 2. Weltkrieg wurde die Kapelle im Wesentlichen verschont. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der in der „Kaplanei“ (Teil des Gerebernus-Hauses, inzwischen abgerissen) wohnende Kaplan Bussmann eigenhändig die Fenster neu verglast hat. Ansonsten wurde 1953 die „alte historische Eingangstüre“ erneuert, wie aus dem ,,Rechnungsbuch Schreinerei-Holtappels“ erkennbar ist.

Kunstwerke im Inneren

Die St. Gerebernuskapelle birgt einige kulturhistorisch wertvolle Kunstschätze:

a) Hochaltar

Der Hochaltar ist eine farbig eingefasste Arbeit des Bildhauers Heinrich Fleige mit einem Vesperbild in der Mitte, der Kreuztragung, Grablegung in den Seitenfeldern (1895).

b) Triumphkreuz

Künstlerisch bedeutend ist das gotische Triumphkreuz aus dem frühen 15. Jahrhundert. Der Gekreuzigte ist nahezu lebensgroß. Der Korpus ist bis zu den Händen und Füßen mit großer Sorgfalt durchgebildet, vom Todeskampf gezeichnet, doch ohne Verfall. Beherrscht wird das Werk vom Haupt des Gekreuzigten, das tiefe Ruhe und Vollendung ausstrahlt. Das Antlitz ist umrahmt von der Dornenkrone und dem Bart sowie seitlich herabhängenden Haarsträhnen. Auffallend ist die breite hohe Stirn, die dem Gesicht seine große Würde verleiht. An den Balkenenden finden sich vier pass­ähnliche Felder mit den Evangelistensymbolen. Das Kreuz ist das Werk eines unbekannten Meisters.

c) Glocken

1942 wurden zwei Glocken aus Bronze, Gesamtgewicht 240 kg, für Kriegszwecke abgeliefert, wovon eine 1950 zurückkehrte. Jetziger Bestand:

„1500“ (Jahreszahl ohne Inschrift). „1599 TILLMANN ME FECIT. Jesus waket, den ghyvweet noch Dagh, noch Uhr.“

„F. LAUR. SCHNUCK. PAT. SIMON HELLING. ME FEC:. TOT CALCAR A. MDCXXIX. JESUS MARIA NOMEN MEUM 1629.“ „St. GEREBERNUS HELFER DER KRANKEN GESTIFTET HANS HÜSKEN 1964.“

d) St. Gerebernus Altar

Im nördlichen Seitenschiff steht der spätbarocke Gerebernusaltar. Das Altargemälde, auf dem im Hintergrund auch die hl. Dymphna zu sehen ist, stellt das Martyrium des Kirchenpatrons dar. Über der Tafel besagt eine Inschrift, dass Pfarrer Johannes Casimir Ghunning den Altar 1784 errichten ließ. Zur Seite des Altarblattes sind je zwei gewundene Säulen mit runden Basen und Blattkapitellen angeordnet. Über dem flachen Schlussbogen steht die hl. Dymphna mit erhobenen Händen und verkündet den Sieg über den unter ihr dargestellten Teufel. Rechts und links unterhalb der Gestalt stehen zwei Engel mit Teilen der Arma Christi von feinster plastischer Durchbildung als Schildknappen Christi. Auf dem Antependium ist ein Gemälde mit der Flucht nach Ägypten in einem stilisierten Barockrahmen zu sehen. Der Gerebernusaltar ist ein Kriechaltar: Der Altarblock ist mit Durchlass unterhalb des Altartisches versehen, der als Bußübung kriechend passiert werden konnte. Im Steinboden sind Rillen zu sehen, die von den Spitzen der Holzschuhe der Pilger im Laufe der Zeit hinein geschliffen wurden.

f) weitere Kunstwerke

Maria mit dem Kind, Eiche, vollplastisch, um 1550 oder später, 93 cm hoch, farbig gefasst, mehrfach übermalt.

An den Säulen sind vier schmiedeeiserne Leuchter mit Votivfältchen der Sonsbecker Bauernschaften und der Prozession aus Hüls (1763 – 1955) erhalten.

Im 21. Jahrhundert wurde ein Neuer Kerzenhalter unter der Replik der Statue des Heiligen Gerebernus errichtet.

Als neue Errungenschaft wurde im Mai 2017 mit großzügiger Unterstützung der Sankt Sebastianus Schützenbruderschaft ein Kerzenhalter aufgestellt, der einen besonderen Hintergrund hat. Er wurde von Steinmetz Reiner Weber, Sonsbeck, nach Vorschlägen des Wallfahrtsausschusses konzipiert und ausgeführt. So stehen nun unter der Figur des St. Gerebernus drei Stelen aus Eifeler Basalt als Trias mit einem als Schiff ausgeprägtem Kerzenhalter als Zentrum. Das Schiff besteht aus einem Stein, Weiberner Tuffstein, der als Wasserschlag jahrzehntelang in der Labbecker Pfarrkirche gedient hatte. Das Schiff steht für die Legende von Dymphna und Gerebernus, die mit einem Schiff geflohen sind, und dient damit auch als Symbol für die aktuelle Flüchtlingslage. Die beiden anderen Stelen dienen als Kerzenlager und als Unterlage für das Fürbittenbuch.